Grundlagen zur Hexerei und Hexereiverfolgung

 

Der Glaube an Magie, Zauberei und damit an «Hexen» geht mindestens bis auf die Antike zurück.[1] Lange Zeit wurde Hexerei jedoch nicht nur gefürchtet, sondern auch geschätzt, da man glaubte, dass sie ebenso helfend und heilend wirken konnte.[2] Der Wandel dieser Einstellung hin zur massiven Verfolgung vermeintlicher «Hexen» in der Frühen Neuzeit vollzog sich langsam.

Dass in vielen Gebieten deutlich mehr Frauen als Männer der Hexerei angeklagt und deswegen hingerichtet wurden, hat mehrere Gründe. Das Christentum propagierte ein dualistisches Menschenbild – man war entweder gut oder böse. Besonders im Mittelalter wurden Frauen als der «sündhafte» Teil der Schöpfung gesehen, eine Blickweise, die sich hartnäckig hielt. Zusammen mit einer anhaltenden Verfolgung von Andersgläubigen und Andersartigen, gesellschaftlichen Veränderungen, klimatischen Krisenzeiten («Kleine Eiszeit») und damit einhergehenden Hungersnöten sowie wiederkehrenden Seuchenepidemien entstand so der Nährboden für die Hexenwahnvorstellung der Frühen Neuzeit und die massive Verfolgung und Tötung von Frauen als «Hexen».[3] Nicht zufällig sind in Hexereianklagen, aber auch «Hexensagen» häufig frauenfeindliche Vorurteile eingewoben. Die theoretische Grundlage für die Identifizierung, Verfolgung und Verurteilung von «Hexen» legte der deutsche Dominikaner Heinrich Kramer 1486 mit seinem Buch «Hexenhammer» oder «malleus maleficarum». Indem er im lateinischen Titel die grammatikalisch weibliche Form wählte, machte er deutlich, gegen wen sich seine Schrift richtete.

Längst nicht alle der Hexerei Angeklagten hatten einen Hintergrund in der Heil- und Kräuterkunde oder der Geburtshilfe, wie das in der Popkultur gerne dargestellt wird; grundlegende Kenntnisse über Heilmittel waren wichtig und in der Gesellschaft relativ verbreitet. Der Anteil von als «Hexen» verurteilten Frauen, die sich damit tatsächlich ihren Lebensunterhalt verdienten, ist wohl nicht viel höher anzusetzen als in der Gesamtbevölkerung.[4]

Im Sprachgebrauch wurden bezüglich der Hexerei auch unterschiedliche soziale Randgruppen miteinander vermengt; der Begriff «Hexensabbat», die angebliche Zusammenkunft vieler «Hexen» und Dämonen – manchmal auch mit dem Teufel persönlich – bedient sich nicht zufällig des jüdischen Ruhe- bzw. Feiertages. Das Unwissen über das Judentum und das Leben der häufig alleinstehenden Frauen, die sich manchmal ausserhalb des als «sittsam» und «normal» geltenden gesellschaftlichen Rahmens bewegten und verhielten, führte zu Ängsten. So vermischten sich die antisemitischen und frauenfeindlichen Falschvorstellungen; man sieht dies sogar in bildlichen Darstellungen von «Hexensabbaten», in denen z.B. pseudo-hebräische Schriftzeichen auf einen «Hexentopf» gemalt wurden (Hans Baldung Grien, Hexensabbat, Holzschnitt, 1510).

Ein Strafprozess wegen Hexerei wurde im vormodernen Zürich, zu dessen Herrschaftsgebiet das heutige Knonauer Amt gehörte, durch eine Anzeige angestossen. Diese konnte von Leuten aus der Nachbarschaft, Verwandten, dem Pfarrer, einem Ratsherrn oder anderen Beamten erstattet werden. Motive waren häufig Ehe-, Nachbarschafts- oder Erbstreitigkeiten, Neid oder Habgier.[5] Nach Eingang der Anzeige beim Reichsvogt wurde diese geprüft und danach die allfällige Festnahme der Angeklagten veranlasst. Oftmals befragte man sie schon nach der Verhaftung im Wohnort, spätestens aber nach der Überstellung nach Zürich.

Zwei Mitglieder des Kleinen Rates, die «Nachgänger», hatten als Untersuchungsrichter den Vorwürfen nachzugehen. Es gab Fälle, in denen 20 oder mehr Zeugenaussagen protokolliert wurden. Die Nachgänger berichteten dem Rat von den Verhören bzw. Folterungen und lasen ihre Protokolle vor. Das bedeutet, dass die Räte, welche das Urteil über die vermeintlichen «Hexen» fällten, diese nie selbst zu Gesicht bekamen oder befragen konnten. Obschon die Kirche die Moral- und Sittenvorstellungen der Zeit massgeblich prägte, lagen die Prozesse in Zürich ausschliesslich in weltlicher Hand.[6] Allfälliges Vermögen der als «Hexen» Hingerichteten wurde von der Obrigkeit konfisziert.[7]

Allgemein wurden Urteile in Strafprozessen nur aufgrund von Geständnissen, freiwilligen oder erzwungenen, gefällt – unter Folter gemachte Aussagen galten dabei als beweisfähig. Man konnte sich als Zeugin oder Zeuge auch freiwillig foltern lassen, um den eigenen Aussagen mehr Gewicht zu verleihen.[8] Die Folter kam besonders deshalb zur Anwendung, weil eine Todesstrafe durch Verbrennen wegen Hexerei nur verhängt werden konnte, wenn die «Teufelsbuhlschaft» (Geschlechtsverkehr mit dem Teufel) gestanden wurde. Konnte jemand der Folter standhalten, musste die Anklage jedoch konsequenterweise fallen gelassen werden und ein Freispruch erfolgen.[9]

Die häufigste Form der Folter in Zürich war die Streckfolter. Dabei wurden die Angeklagten an den hinter dem Rücken gefesselten Händen an einem Seil aufgehängt. Durch das Anhängen von Gewichten an den Füssen wurde die Marter gesteigert. Die Protokolle hielten detailliert fest, wie oft jemand mit wie vielen Gewichten gestreckt wurde.[10] Wer nach den Folterungen freigesprochen wurde, war häufig invalid und konnte den eigenen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten.

Die durch den Zürcher Rat gefällten Urteile wurden direkt vor dem Rathaus auf dem damaligen Fischmarkt verlesen. Danach wurden die Verurteilten zur jeweiligen Richtstatt geführt. Ertränkungen wurden in der Limmat vorgenommen, die Verurteilten wurden in einer Kauerstellung gefesselt und von einer kleinen Fischerhütte in der Mitte des Flusses aus ins Wasser geworfen. Verbrennungen erfolgten auf einer Kiesbank neben der Sihl, etwa auf der Höhe, wo sich heute der Bahnhof Selnau bzw. die Sihlbrücke befindet.[11] Die Asche wurde anschliessend in den Fluss gekehrt.

Durch die Todesurteile sollte die Gemeinschaft vom «Bösen», das die Hingerichteten begangen haben sollten, gereinigt werden. Enthauptete oder Erhängte wurden darum selten begraben, sondern oft nachträglich ebenfalls verbrannt und ihre Asche verstreut oder in ein fliessendes Gewässer gefegt.

In den protokollierten Vorwürfen wird deutlich, dass sich die Anklagen oft um das sexuelle Verhalten der Frauen drehten. Unter der Folter deuteten manche Frauen sogar reale Vergewaltigungen zu angeblich freiwilligem Geschlechtsverkehr mit dem Teufel um.[12] Hexereianklagen dienten als Kontrollinstrument, um jegliches non-konformes Verhalten – besonders von Frauen – zu unterbinden. Es konnte schon als verdächtig gelten, wenn man an vermeintlich ungewöhnlichen Orten oder zu aussergewöhnlichen Zeiten gesehen wurde, vor sich hinmurmelte oder mit einem Haustier sprach. Oft kursierten schon seit Jahren oder Jahrzehnten Gerüchte über eine vermeintliche «Hexe», die dann alle beim Prozess zusammengetragen wurden.[13] Aus vielen Aussagen spricht auch die Armut und der Hunger der Angeklagten. Manche der (teils wohl realen) Vergehen, die mit den Hexereianklagen kombiniert wurden, wie Diebstahl von Nahrungsmitteln oder angebliche Unzucht mit Vieh – also das Übernachten in fremden Ställen –, lässt sich häufig auf den Überlebenskampf von Familien oder die Notlage von verwaisten Jugendlichen zurückführen.[14]

Zwecks Rehabilitierung der 80 auf dem Gebiet Zürich als «Hexen» hingerichteten Frauen und 5 Männer muss eindeutig von Justizmorden gesprochen werden.[15]

Wichtig zu wissen: Spätestens aus dem 17. Jahrhundert sind schriftliche Kritiken am Hexenwahn und der Prozessführung in Zürich überliefert, sie stammen von Theologen, Juristen und Ärzten (damals ausschliesslich Männer).[16] Dass die Hexereiverfolgung Unrecht war, konnte man also durchaus bereits während des «Hexenwahns» einsehen.

Indem wir alle heute unser Denken und Sprechen reflektieren und dabei die realen Schicksale dieser 85 Unschuldigen vor Augen haben, halten wir ihr Andenken lebendig und laufen hoffentlich weniger Gefahr, ähnlichen Vorverurteilungen und Fehleinschätzungen anheim zu fallen.

Text: Fabienne Dubs, M.A., Historikerin

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Quellen

[1] vgl. Christine Christ-von Wedel, «Die Zürcher Hexenprozesse und die Reformatoren», in: Zwingliana 48, 2021, S. 71–114, hier: S. 103f; vgl. Charles Zika, «Images of Circe and Discourses of Witchcraft, 1480-1580», in:

Zeitenblicke 1, 2002, URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/01/zika/zika.html>, hier: Abschn. 3.

[2] vgl. Barbara Becker-Cantarino, «Kulturelles Wissen zwischen Glaube und Aberglaube», in: Natur – Religion – Medien. Transformationen frühneuzeitlichen Wissens, hg. von Thorsten Burkard et. al., Berlin 2013, S. 124f.

[3] vgl. Bernd Roeck, «Aussenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der Frühen Neuzeit», Göttingen 1993, S. 55f.

[4] Prof. Dr. Bernd Roeck, Gespräch mit Fabienne Dubs im Rahmen einer Vorlesung über soziale Randgruppen der Frühen Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Zürich, Herbstsemester 2016.

[5] vgl. Christ – von Wedel 2021, S. 107; vgl. Otto Sigg, «Hexenprozesse mit Todesurteil. Justizmorde der Zunftstadt Zürich», auf Grund der Quellen des Staatsarchivs Zürich bearb. von Otto Sigg, Frick 2012, S. 9.

[6] vgl. Christ – von Wedel 2021, S. 75.

[7] vgl. Otto Sigg, «Hexenmorde Zürichs und auf Zürcher Gebiet. Nachträge und Ergänzungen zur Dokumentation 2012», Hettlingen 2019, S. 40.

[8] vgl. Sigg 2019, S. 13.

[9] vgl. Christ – von Wedel 2021, S. 73f; S. 98.

[10] vgl. Sigg 2019, S. 95.

[11] vgl. Sigg 2012, S. 8.

[12] vgl. Sigg 2019, S. 11; S. 28.

[13] vgl. Sigg 2012, S. 9f.

[14] vgl. Sigg 2019, S. 4.

[15] vgl. Sigg 2019, S. 3.

[16] vgl. Sigg 2019, S. 3; Christ – von Wedel 2021, S. 99f.