Hier eine etwas andere Sage über den Hexengraben:

Katharina Müller, «Die Vrenen-Sage – aus heutiger Frauensicht», 2023
Auf dem Seeboden wohnte einst eine arme Witwe, die Vrene. Die kannte sich mit den Kräutern rund um den See und im Riet gar gut aus. Die Leute strömten in Scharen zu ihr, wenn sie mit Läusen oder von Schwindsucht befallen waren. Mit dem bescheidenen Entgelt verdiente sich die alte Frau ihren Lebensunterhalt. Sie half den Schwangeren bei der Geburt und wusste auch, was zu tun ist, wenn diese nicht erwünscht war. Das gefiel den Herferswilern keineswegs und sie sannen darüber nach, wie sie dem Wirken des alten Weibs den Garaus machen konnten.

So versetzten sie den Grenzstein zu ihren Gunsten, damit die Witwe kein Land mehr für ihre Kräuter hatte. Auch entwässerten sie das Moor, liessen das Riet austrocknen und bebauten es für ihr eigenes Vieh. Doch das Vieh wurde darauf krank und die Obrigkeit vermutete, die alte Vrene sei eine Hexe und hätte die Tiere vergiftet. Sie sei vom Teufel, glaubten sie und müsse von diesem unheilvollen Flecken Erde verbannt werden ins ewige Eis. So packten die Herferswiler ihre Heugabeln und machten sich auf, das Haus der Alten zu stürmen.

Doch just, als sie dort die Türe aufbrechen wollten flog die alte Vrene durch den Kamin auf und davon Richtung Berge. Dort steht sie noch heute, stolz mitten in Firn und Eis. Seither heisst dieser Flecken auf dem Glärnisch Vrenelis Gärtli. Es wird gesagt, dass eines Tages  das ewige Eis schmelzen und die alte Vrene wieder herunterkommen würde, in den Hexengraben, der nach ihr benannt ist. Dort würde sie, zum Wohle der Menschheit, das verlorene Wissen aus der eingefrorenen Welt teilen.

Reinhard Ochsner, «Geschichte von Aeugst am Albis» (Manuskript), 1892-1898, S. 33-36 (Kommission Dorfgeschichte Aeugst) – «Sage vom Türlersee»
Hinter Vollenweid auf dem Berg am Türlersee siedelte sich in uralten Zeiten eine Familie an, die vom Meeresstrande hergekommen sein soll. Sie war fleissig und ihr Gewerblein blühte bald besser als das der Nachbarn, so dass diese neidisch wurden. Namentlich ein Garten auf der Westseite des Berges mit vielen unbekannten Früchten, Blumen, Heilkräutern, Frauenschüeli, Maierisli, Gläsli und Kallmüs, die lange noch da gewesen sein sollen. Im stürmischen See sei der Mann ertrunken, die Frau trauerte in sich selbst versunken, arbeitete nur desto mehr mit ihrem Kinde. Vre Hilteri war ihr Name. Bald wurden aber ihre Marken und ihre Besitzung streitig gemacht. Mehrjährige Prozesse zehrten ihr Vermögen auf, das Gut verwilderte und verwahrloste durch häufige Abwesenheit von Mutter & Kind. Es blieb nur noch der Garten.

«So kann ich doch noch gartnen», sagte sie, denn sie glaubte sich ungerecht behandelt und von Gott und Menschen verlassen. Aber Blüten und Früchte gediehen nicht wie früher, weil nicht mit der gleichen Sorgfalt gepflegt. In einem neuen Prozesse mit den «Herferswylern», in deren Marken der Garten lag, verlor sie auch noch diesen. Sie wollte «aber doch gartnen, ihren Feinden zu lieb oder zu leid.» Die lachenden Blumen erbitterten sie nur. Mit rauer Hand riss sie sie aus und verwüstete, was sie früher gepflanzt. Vor Wut und Rache grub sie hinter dem Garten einen tiefen Stollen, um den Türlersee nach Herferswil zu leiten und die Feinde mit Mann und Maus zu ersäufen. Noch ein einziger Stich, und das Werk wäre vollführt gewesen, aber als sie hohnlachend den Spaten zum letzten Mal einstossen wollte, erbebte die Erde, der Stollen fiel zusammen, und da, wo der Garten war, schoss dorniges Gestrüpp auf. Grauenhaft gross wuchs das Weib empor, und sie hob den Spaten nochmals, wahnsinnig aufschreiend gegen den Himmel: «Und ich will doch gartnen, sei es Gott Lieb oder Leid!». Dann schritt sie auf den Zeisenberg, wo sie ihren Fuss tief in einen Nagelfluhblock eindrückte, und ging an die grüne Halde des Glärnisch. Als sie dort den Spaten in die Erde stiess, wurde die blumige Flur zur Eisfläche.

Dort steht immer noch Vre Hilteri beim Vrenelisgärtli am eingestochenen Spaten als starrer Eisturm, die Augen gegen den Himmel gerichtet und fragend, ob nicht ein warmer Föhn oder Regen sie von den eisigen Banden erlösen wolle.

 

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